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Grundsätze für die Gestaltung von Beteiligungsverfahren in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers

Vom 16. Mai 2025

KABl. 2025, S. 133

Die 26. Landessynode hat während ihrer XII. Tagung die folgenden Grundsätze für die Gestaltung von Beteiligungsverfahren beschlossen:
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I.
Verfassungsrechtliche Bestimmungen

Die Kirchenverfassung begreift Beteiligung insgesamt als grundlegendes Strukturprinzip im Verhältnis zwischen allen kirchlichen Handlungsebenen. Artikel 16 der Kirchenverfassung (KVerf) lautet: "Die Landeskirche beteiligt die Kirchenkreise in allen wichtigen Fragen, die ihre Angelegenheiten oder die Angelegenheiten der zu ihrem Bereich gehörenden kirchlichen Körperschaften in besonderer Weise betreffen. Dies gilt im Verhältnis zwischen den Kirchenkreisen und den zu ihrem Bereich gehörenden kirchlichen Körperschaften entsprechend."
Grundlage jeder Beteiligung ist die Information. Eine Pflicht zur Information besteht nicht nur zwischen den kirchlichen Handlungsebenen, sondern gegenüber allen Mitgliedern (Artikel 9 Absatz 2 KVerf). Darüber hinaus gehört zur Beteiligung mindestens eine Anhörung der zu beteiligenden Stellen, je nach den Umständen aber auch weitergehende Formen, die in diesen Grundsätzen beschrieben werden.
Beteiligung sichert das Subsidiaritätsprinzip, indem eine nachgeordnete Handlungsebene die rechtlich abgesicherte Möglichkeit hat, ihre Belange in Entscheidungsprozesse der nächsthöheren Handlungsebene einzubringen.
Beteiligung ist zugleich ein angemessener Ausdruck der Zeugnis- und Dienstgemeinschaft aller Formen kirchlichen Lebens (Artikel 3 Absatz 4 KVerf).
Die Beteiligung der Kirchenkreise durch die Landeskirche erstreckt sich auch auf Angelegenheiten, die den Bereich der Kirchengemeinden und der anderen zum Kirchenkreis gehörenden kirchlichen Körperschaften betreffen. Denn die Kirchenkreise haben die Aufgabe, die Arbeit der Kirchengemeinden und der anderen Formen kirchlichen Lebens zu fördern und zu unterstützen (Artikel 31 Absatz 2 KVerf), und sie vermitteln Angelegenheiten und Informationen zwischen der Landeskirche und den Kirchengemeinden (Artikel 31 Absatz 5 KVerf).
Wichtige Angelegenheiten sind – in Anlehnung an die Bestimmungen des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes zur Bürgerbeteiligung – grundsätzlich alle Angelegenheiten, die nicht zum Tagesgeschäft kirchlicher Leitung und Verwaltung gehören.
In besonderer Weise betroffen sind die Angelegenheiten der Kirchenkreise bzw. der Kirchengemeinden, wenn eine Entscheidung in erheblicher Weise Veränderungen in den Strukturen der Arbeit erforderlich machen oder den Einsatz zusätzlicher finanzieller oder personeller Ressourcen notwendig machen würde.
Unter diesen Gesichtspunkten werden zu den Gegenständen der Beteiligung viele Rechtsetzungsvorhaben der Landeskirche gehören, aber auch einzelne Organisationsentscheidungen. Die Entstehung und Weiterentwicklung des Finanzausgleichsgesetzes (FAG) seit dem Jahr 2006 stellt gewissermaßen das Muster für einen gelungenen Beteiligungsprozess dar. Die Erfahrungen aus diesem Prozess haben die verfassungsrechtlichen Regelungen und die Grundsätze für Beteiligungsverfahren geprägt.
Die nachfolgenden Grundsätze für die nähere Ausgestaltung von Beteiligungsstrukturen konzentrieren sich auf die Beteiligungsstrukturen im Verhältnis zwischen der Landeskirche und den Kirchenkreisen. In einer insgesamt beteiligungsorientierten Kirche gelten dieselben Grundsätze aber auch im Verhältnis zwischen den Kirchenkreisen und den Kirchengemeinden. Die Kirchenkreisordnung schreibt deshalb in § 5 Kommunikation und Beteiligung vor, dass die Kirchenkreise Strukturen und Verfahren der Beteiligung in ihrem Bereich in ihrer Hauptsatzung regeln.
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II.
Ziele und Grundsätze von Beteiligung

  1. Beteiligung dient der Legitimation kirchlicher Entscheidungen durch soziale Verfahren. Sie soll dazu beitragen, die mit einem Vorhaben verfolgten Ziele, die ihm zugrundeliegenden Beweggründe und die damit verbundenen Prozesse transparent zu machen und den Sachverstand der Betroffenen ebenso wie den Sachverstand landeskirchlicher Einrichtungen und externer sachverständiger Personen in den Entscheidungsprozess einzubeziehen.
    Auf diese Weise kann Beteiligung die Akzeptanz getroffener Entscheidungen erhöhen, deren inhaltliche Qualität verbessern und Konflikten bei der Umsetzung von Entscheidungen vorbeugen. Gleichzeitig kennzeichnet Beteiligung die Kirche als eine lernende Organisation, die Veränderungen als Herausforderungen annimmt und ihre Antworten unter Einbeziehung möglichst vieler verschiedener Perspektiven auf einen Sachverhalt konstruktiv entwickelt.
  2. Beteiligung im Sinne des Artikels 16 der Kirchenverfassung dient der Vorbereitung von Entscheidungen und soll die jeweils Verantwortlichen in die Lage versetzen, diese Entscheidungen auf einer möglichst breiten Grundlage von sachlichen Gesichtspunkten und unterschiedlichen Perspektiven zu treffen. Sie zielt auf eine Beteiligung an der Entscheidungsfindung und nicht an der Entscheidung selbst. Beteiligung stellt damit die verfassungsmäßigen Zuständigkeiten für Entscheidungen nicht in Frage, sondern setzt sie voraus. Die Verantwortung für Entscheidungen verbleibt bei den verfassungsmäßig zuständigen Stellen und wird nicht auf mehrere Handlungsebenen verteilt.
  3. Bei der Gestaltung von Beteiligungsprozessen ist ein grundlegender Zielkonflikt zu berücksichtigen. Einerseits ist eine breite Beteiligung wünschenswert und notwendig. Andererseits nehmen Beteiligungsprozesse auf allen beteiligten Ebenen wertvolle Ressourcen in Anspruch: Entscheidungsprozesse werden aufwendiger und langsamer, je mehr in zusätzlichen Verfahrensschritten Stellungnahmen eingeholt, erarbeitet und berücksichtigt werden müssen. Es ist daher jeweils sorgfältig zu prüfen, in welchen Fällen und in welcher Form Beteiligung nötig und im Blick auf das Verhältnis von Aufwand und Ertrag angemessen ist. Diese Überlegungen erfordern
    • eine rechtzeitige Ankündigung von Beteiligungsprozessen.
    • einen flexiblen Einsatz verschiedener Module je nach den Umständen des Einzelfalls.
    • eine flexible Reaktion auf Herausforderungen, die sich während eines Beleidigungsprozesses ergeben.
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III.
Durchführung des Beteiligungsverfahrens

1. Anhörung und Erörterung
  1. Beteiligte Gruppen und Einrichtungen
    Die Anhörungs- und Erörterungsverfahren bilden den Mittelpunkt des Beteiligungsverfahrens. In dieser Phase erfolgt die Information und die Anhörung der Kirchenkreise und der anderen in das Beteiligungsverfahren einbezogene Gruppen und Einrichtungen sowie ggf. die Erörterung des Vorhabens mit diesen Gruppen und Einrichtungen. Auch die Stabsstelle Gleichstellung, die Fachstelle Sexualisierte Gewalt und die kirchlichen Berufsgruppen werden in der Regel zu diesem Zeitpunkt einbezogen.
    Bei besonders bedeutsamen Vorhaben wie dem Verfassungsprozess kann es über die Beteiligung der Kirchenkreise und anderer Gruppen hinaus auch ein öffentliches Beteiligungsverfahren geben.
  2. Gegenstand der Beteiligung
    Das Anhörungs- und Erörterungsverfahren ist einstufig. Gegenstand der Beteiligung ist dann der Entwurf eines Rechtsetzungsvorhabens oder eines vom Landeskirchenamt erstellten inhaltlichen Konzepts. Entwürfe von Kirchengesetzen und Rechtsverordnungen oder von inhaltlichen Konzepten, deren Umsetzung eine Entscheidung der Landessynode voraussetzt, berät das Landeskirchenamt vor dem Beginn der Anhörungs- und Erörterungsverfahren mit dem zuständigen Ausschuss der Landessynode.
  3. Module der Beteiligung
    Die Auswahl der Module für das Anhörungs- und Erörterungsverfahren richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. In erster Linie ist zu berücksichtigen,
    • was für ein Vorhaben Gegenstand des Beteiligungsverfahrens ist,
    • wie umfangreich die erforderliche Sachverhaltsermittlung ist bzw. wie viele Handlungsoptionen in Frage kommen,
    • wie sich das Vorhaben auf die Strukturen der Arbeit in den Kirchenkreisen und Kirchengemeinden und ggf. auf andere Betroffene auswirken kann,
    • welche finanziellen Folgen das Vorhaben nach sich zieht,
    • in welchem Umfang das Vorhaben bereits Gegenstand von Diskussionen in der Landeskirche war.
Grundsätzlich kommen drei Formen des Beteiligungsverfahrens in Betracht:
  • Bei besonders bedeutsamen Vorhaben wie dem Verfassungsprozess oder der geplanten grundlegenden Überarbeitung der Kirchengemeindeordnung bietet sich ein öffentliches Beteiligungsverfahren mit einer Internetplattform an. Dafür wird in der Regel eine Stellungnahmefrist von drei Monaten vorgesehen.
  • In der Regel wird ein schriftliches Stellungnahmeverfahren mit einer Stellungnahmefrist von drei Monaten genügen. Ansprechpartner für ein solches Stellungnahmeverfahren sind in der Regel die Kirchenkreisvorstände. Ob und inwieweit sie intern die Kirchenkreissynode oder andere Gremien (z.B. den Pfarrkonvent) beteiligen, bleibt dann den Kirchenkreisen überlassen. Gegebenenfalls kann der Kreis der Beteiligten auf der Ebene der Kirchenkreise aber auch von vornherein durch die Landeskirche erweitert werden, z.B. auf alle Mitglieder der Kirchenkreissynode. In Fragen, die zwar eine Beteiligung erforderlich machen, aber einen einfachen Gegenstand betreffen oder keine grundsätzliche Auseinandersetzung erwarten lassen, z.B. bei der Änderung von Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften, kann auch eine schriftliche Stellungnahme der Vertreterinnen und Vertreter der mittleren Ebene (aus der Sprechergruppe der Superintendentinnen und Superintendenten, dem Fachausschuss der Kirchenämter und/oder dem Sprecherkreis der Kirchenkreissynoden-Vorsitzenden) ausreichen. Damit diese ausreichend Zeit haben, Rückmeldungen der von ihnen vertretenen Gruppen einzuholen, sollte dafür eine Frist von zwei Monaten vorgesehen werden.
Weitere Module des Anhörungs- und Erörterungsverfahrens können insbesondere sein:
  • Regionalkonferenzen oder –workshops für einen je nach Bedarf zusammengesetzten Personenkreis,
  • Vorträge bei Kirchenkreissynoden oder aus anderen Anlässen,
  • Workshops beim Ephorenkonvent, bei der Tagung der Kirchenamtsleitungen oder bei der Jahrestagung der Vorsitzenden der Kirchenkreissynoden,
  • große Workshop-Veranstaltungen, wie sie im Rahmen der Neuordnung des Finanzausgleichs, des Verfassungsprozesses und der Erprobungsgesetzes zur Fortentwicklung der öffentlich-rechtlichen Körperschaften in Loccum durchgeführt wurden (sog. Loccum-Format),
  • Fachtage, Vortragsreihen oder andere Veranstaltungsformen, die vornehmlich der Reflexion und der Einbeziehung externen Sachverstandes dienen.
Ergänzend, insbesondere bei der Auswertung der Anhörungs- und Erörterungsverfahrens kann das Format des sog. Kleinen Trialogs genutzt werden. Bei diesem Format kommen Vertreterinnen und Vertreter des Landeskirchenamtes mit jeweils zwei oder drei Personen aus der Sprechergruppe der Superintendentinnen und Superintendenten, dem Fachausschuss der Kirchenämter und dem Sprecherkreis der Kirchenkreissynoden-Vorsitzenden zusammen, um bestimmte Themen gemeinsam zu erörtern.
2. Auswertung
Am Ende des Beteiligungsverfahrens steht die Auswertung des Anhörungs- und Erörterungsverfahrens. Dabei werden dessen wesentliche Ergebnisse zusammengefasst, bewertet und in den Entwurf eingearbeitet, der dem gesamten Anhörungs- und Erörterungsverfahren zugrundelag oder nach einer Zwischenauswertung erarbeitet wurde.
Die Auswertung obliegt dem Landeskirchenamt, ggf. auch einer mit dem zuständigen Ausschuss verabredeten Arbeitsgruppe. Das Landeskirchenamt kann ggf. Vertreterinnen und Vertreter aus anderen kirchenleitenden Organen und/oder aus den Kirchenkreisen oder externe Sachverständige hinzuziehen.
3. Ergebnis des Beteiligungsverfahrens
Am Ende des Beteiligungsverfahrens steht der Entwurf einer Rechtsvorschrift oder eines Konzeptes, der dann im Rahmen der verfassungsmäßigen Zuständigkeiten vom Landeskirchenamt beschlossen, mit anderen kirchenleitenden Organen abgestimmt oder als Gesetzentwurf in die Landessynode eingebracht wird. In diesem Entwurf sind die wesentlichen Inhalte der eingegangenen Stellungnahmen und das Ergebnis der Auseinandersetzung mit diesen Stellungnahmen zu erläutern.